3
Viele Jahre waren seit dem schlimmen Tag vergangen, als Michel in der Blüte seiner jugendlichen Kraft und Schönheit einfach verschwand, und mir war es nur gelungen – durch beinahe beständige Geißelung meiner Seele –, den Schmerz etwas zu dämpfen. Die Pein, ein Kind zu verlieren, vergisst man nie; man kann nur hoffen, dass die Erinnerung mit der Zeit schwächer wird. Und genau so soll es auch sein – die Seele eines verlorenen Kindes sollte immer in den Herzen derer bleiben, die es liebten, damit sie am Leben bleibt. Ich habe mich oft gefragt, warum Gott gerade mir diese Aufgabe übertrug, warum das Wesen des Jungen, der einst Michel la Drappière war, mir zur Bewahrung übergeben wurde. Wie soll man die süße Unschuld, die liebenswerte Neugier, die wachsende Tiefe seines Charakters bewahren? Ich habe nicht einmal ein Porträt von ihm, bis auf jenes, das täglich durch meinen wachenden Verstand zu meinem träumenden Herzen wandert. Er ist groß und schlank, aber seine Gliedmaßen versprechen künftige Kraft. Seine Augen haben die Farbe eines klaren Himmels im April. Wie fängt man seine Herzlichkeit ein, die Zärtlichkeit seiner Umarmung, den Humor seiner brechenden Stimme? Oft beschleicht mich das Gefühl, dass ich dazu einfach nicht stark genug bin.
Madame le Barbier verschlug es zunächst den Atem, als ich es ihr erzählte, dann stieß sie bitterste Verwünschungen aus; sie umklammerte meine Hand so fest, dass ich um die Knochen meiner Finger fürchtete. Die zerlumpte Frau umarmte mich mit überraschender Kraft, und Tränen unaussprechlichen Kummers rannen ihr über die Wangen, um meinetwillen, um ihretwillen, um unserer verlorenen Söhne und um all der quälenden Tage willen, die ich erlebt hatte und sie noch erleben würde. Eine Schwäche überkam sie, dass ich schon befürchtete, sie würde zusammenbrechen. Ich führte sie ins Haus und zu einer Bank mit Kissen, wo sie an meine Schulter sank und sich ganz dem Schluchzen hingab. Als ihre Kraft zu weinen erschöpft war, legte sie den Kopf in meinen Schoß und bebte unter abgehackten Atemzügen, bis sie schließlich eindöste.
Ich wusste, was andere nicht wissen konnten – dass es nämlich keine Worte gab, um ihren Schmerz zu mildern, keine Mitleidsbezeugungen, um das Leid zu lindern, das im Augenblick des Verlustes seinen Anfang nahm und nie, so mein Lebensweg mir Wahres enthüllt hatte, ein richtiges Ende finden würde. Was Madame jetzt brauchte, war jemand, der stumm neben ihr saß, während sie sich bemühte, die Seele ihres Kummers zu entleeren, was ihr für sehr lange Zeit vergeblich erscheinen mochte. Eine ähnliche Freundlichkeit wurde auch mir gewährt, ironischerweise durch eine Braut Christi, die den Schleier nahm, als ihr Gatte starb – im Gegensatz zu mir allerdings freiwillig. Sie war bekannt für ihre Großzügigkeit, und die bewies sie mir mit dem Geschenk kritikloser Zeit; als die anderen Damen des Schlosses keine Geduld mehr hatten für mein Weinen und meine Klagen, als sogar Etiennes Langmut spröde wurde, war sie diejenige, in deren Gegenwart ich immer Trost fand. Sie zwang mich, wieder in das Licht zu treten, das ich so liebte, einfach indem sie nicht zuließ, dass ich in der süßen, unkomplizierten Dunkelheit versank, die nach Michels Verschwinden winkte. Im Licht zu leben erschien mir damals zu schwer; ich meinte, ich würde immer das Mal unaussprechlicher Schmach tragen, eins, das mich aus der Gemeinschaft jener ausschloss, die nicht ebenso entstellt waren.
Ich hatte mir eingeredet, dass Michels Verschwinden Folge eines Fehlers meinerseits gewesen sein musste, eines schrecklichen Versagens, und dass die Tragödie hätte abgewendet werden können, wäre ich nur wachsamer, aufmerksamer gewesen, eine bessere Mutter, ein Falke für meinen eben flügge werdenden Sohn. Zu glauben, es sei nur ein Zufall gewesen, dass Gott aus irgendeinem Grund Milord Gilles verschont und stattdessen seine Hand auf meinen Sohn gelegt hatte, war mir unerträglich, denn es nahm mir alle Hoffnung auf Sicherheit in dieser Welt. Viel tröstender war es, wenn ich mir sagte, es gäbe einen Grund dafür und meine mangelnde Wachsamkeit wäre dieser Grund. Schließlich suchen wir immer jemanden, dem wir die Schuld zuschieben können. Aber meine liebe Schwester in Gott gab mir zu verstehen, dass das, was Er in Bewegung setzt, nicht geändert werden kann, trotz unserer verzweifelten Bemühungen, Seinen Willen mit unseren guten Taten zu durchkreuzen. Im Lauf der Zeit ist es mir gelungen, mir bis zu einem gewissen Grad zu vergeben, aber das geschah mit grausamer Langsamkeit.
Meine Hand lag auf Madames Kopf; ich meinte beinahe, ebenjene Selbstvorwürfe durch ihre Haare zu spüren. Ich war entschlossen, für sie dasselbe zu tun, was man vor so vielen Jahren für mich getan hatte, waren wir doch nichts als zwei Glieder einer langen, ununterbrochenen Kette des Kummers. Ich saß da, während sie schlief, ihr Kopf schwer in meinem Schoß, und dachte an die Tage, da ich mein eigenes Leid noch immer frisch fühlte, auch wenn es für alle anderen bereits uralt zu sein schien.
Als sie sich schließlich rührte und den Kopf hob, war ihr Gesicht fleckig von Tränen, ihre Augen erbärmlich verquollen. Mit einem Zipfel ihrer Schürze wischte ich ihr den Rest der Feuchtigkeit weg. Sie starrte mich an, als ich das tat, und ihr Blick wollte wissen: Wird das je zu Ende sein? Ich hätte sehr gerne ja gesagt. Aber das wäre eine Lüge gewesen.
Sie erhob sich von der Bank und ging auf und ab. Ich sah ihr schweigend zu, obwohl es viele Dinge gab, die ich hätte sagen und fragen wollen. Als sie schließlich sprach, klang ihre Stimme brüchig, doch dies an sich beunruhigte mich nicht sonderlich, hatte es doch nach dem Tod meines Sohnes viele Monate gedauert, bis meine Stimme wieder über meine eigenen Ohren hinausdrang. Etienne forderte mich immer auf, lauter zu reden, manchmal sogar barscher, als es mir hilfreich erschien. Er schien dank der natürlichen Eigenschaften seines Geschlechts sich schneller zu erholen als ich, doch nach Michels Tod blieb ihm eine gewisse Härte. Ich schien sie nie ganz durchbrechen zu können, diese Rüstung, die Männer oft anlegen, um sich gegen tiefe Gefühle zu schützen, die sie behindern könnten bei den Aufgaben, die sie erledigen müssen, vor allem bei den unerfreulichen Pflichten des Krieges. Wie kann ein Mann trauern um den Krieger, dessen Kopf er abschlagen muss, und dennoch den blutigen Hieb führen? Das wäre unmöglich.
»Euer Sohn, wie war sein Name?«
»Michel«, antwortete ich. »La Drappière.«
Ich wartete, doch sie zeigte kein Anzeichen des Wiedererkennens. Nach einigen Augenblicken sagte ich: »Ihr erinnert Euch also nicht an mich?«
Sie schaute mir ins Gesicht. »Nein«, sagte sie. »Ich muss leider sagen, dass ich mich nicht erinnere. Kennen wir uns denn, Mutter?«
Natürlich hatten wir beide uns sehr verändert – dreizehn Jahre gehen an keinem spurlos vorüber, das ist die natürliche Ordnung der Dinge. Gott will nicht, dass wir noch so reizvoll sind wie jüngere Witwen, die nach wie vor Kinder gebären können und ersten Anspruch auf die Männer haben, die aus den Kriegen zurückkehren. »Wir sind uns hin und wieder begegnet, als mein Gatte in Champtocé diente, und ich mit ihm«, sagte ich ihr.
Obwohl meine Finger steif waren von Madame le Barbiers festem Griff, fasste ich nach meinem Schleier und nahm ihn ab. Ich legte ihn auf Madames Tisch und strich mir ein paar widerspenstige Haare glatt.
Sie schaute mich an, und langsam dämmerte die Erkenntnis.
»Madame la Drappière«, hauchte sie. »Natürlich.«
»Oui«, sagte ich, »c’est moi. Einst habt Ihr mich Guillemette genannt.«
»Aber … ich hätte nicht gedacht, dass Ihr …« ein Leben im Dienst der Kirche ertragen könntet, ergänzte ich für mich. Merkwürdigerweise war diese Regung für mich wie ein Kompliment.
»Es ist kein Leben, das ich mir gänzlich selbst gewählt habe.« Ich krümmte und streckte die Finger, um die Taubheit zu vertreiben.
»Mein Mann starb an seinen Wunden nach Orléans.« Mehr brauchte ich nicht zu sagen.
Noch immer schniefend, schüttelte Madame le Barbier langsam den Kopf. »Nun, wenigstens seid Ihr versorgt.«
»Das bin ich«, sagte ich. »Und ich bin nicht so einsam, wie ich es in meinen letzten Tagen in Milords Diensten war. Alle, die ich dort kannte und liebte – zu der Zeit waren sie alle bereits verschwunden. Das Kloster ist ein angenehmer Ort, wo ich mich nützlich machen kann; ich bin eine Vertraute Seiner Eminenz, der sich in kleinen Dingen auf mich verlässt.«
»In der Tat. Das habe ich gestern Abend gesehen.«
Überrascht erfuhr ich nun, dass sie trotz ihres Kummers alles genau beobachtet hatte, aber da nun das Wiedererkennen ihrem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen hatte, erinnerte sie sich auch an andere Dinge.
»Ich erinnere mich an Ihren Sohn …«, sagte sie, »aber meiner Erinnerung nach war er doch älter.«
»Ihr denkt an meinen Erstgeborenen, Jean«, sagte ich ihr. »Er ist – war – älter als Michel. Er ist jetzt Priester. In Avignon.«
»Ein Priester?« Ihre Überraschung war unübersehbar. »Das war erlaubt?«
Undenkbar, hatte Etienne gesagt, als Jean das erste Mal den Wunsch äußerte, Priester zu werden. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Du wirst Soldat werden, wie ich einer bin. Soll dein Bruder Michel in den Dienst Gottes treten, wie es ihm als Zweitgeborenem gebührt.
»Er hatte keine Begabung fürs Kriegshandwerk«, sagte ich, »und auch nicht die geringste Neigung dazu …«
Michel würde mit Freuden zum Schwert greifen. Ich flehe dich an, Etienne, zum Wohle unserer Söhne, lass Jean in den Geistlichenstand eintreten.
»Es war eine gewaltige Aufgabe, aber es gelang mir, meinen Gatten dazu zu bewegen, Michel anstelle unseres Erstgeborenen die Waffenkunst lernen zu lassen. Mit der Zeit erkannte er, dass diese Einteilung beiden sehr zupass kam. Michel hatte eben begonnen, sich an den Waffen zu üben, als er …«
So viele Jahre waren vergangen, und ich konnte es noch immer kaum sagen.
»Er … verschwand«, flüsterte ich.
Meine Stimme versagte mir den Dienst, und es war ein Trost, dass Madame sich meinem Schweigen anschloss. »Dann ist Jean also in Avignon …«, sagte sie nach einer Weile, »eine schöne Stadt, à bon temps, habe ich gehört. Aber so weit weg.«
»Ich war noch nie dort, obwohl Seine Eminenz in der Zeit meines Dienstes bei ihm viele Audienzen beim Heiligen Vater hatte. Er sagt, es ist wirklich ein angenehmer Ort, vor allem der Palast, in dem Seine Heiligkeit residiert. Jean fehlt mir schrecklich, aber er scheint glücklicher in seiner Arbeit zu sein – und nun werde ich ihn auch endlich besuchen dürfen, wenn Seine Eminenz in einigen Monaten nach Avignon reist.«
Ich sah echte Freude in ihrer Miene. »Wie wunderbar, dass Ihr eine solche Reise vor Euch habt. Der Weg wird zwar beschwerlich sein, aber …«
»Ich hatte nie Angst, mich aufzumachen in die Welt – im Gegenteil, ich habe es immer fast als Vergnügen betrachtet. Und was mich am Ende dieses Wegs erwartet, wird die Reise selbst als lächerliche Unbequemlichkeit erscheinen lassen.« Ich klopfte mir auf den Ärmel. »Er schreibt oft, und ich trage seine Briefe bei mir, bis ich sie auswendig kenne. Aber das ist nicht dasselbe, Madame, wie die Hand auszustrecken und seine Wange zu berühren.«
»Bitte«, sagte sie, »mein Taufname ist Agathe.« Nun kam wieder ein bitteres Lächeln. »Wir sind wahre Schwestern, n’est-ce pas? Da uns beide etwas so Starkes wie die Seelen unserer Söhne vereint, sollten wir doch sehr vertraut miteinander sein.«
Sogleich flossen wieder ihre Tränen. Ich legte den Arm um sie, bis sie aufhörte zu weinen.
»Nun denn, Agathe«, sagte ich zu ihr, »du musst mir alles erzählen, was du über die Umstände von Georges’ Verschwinden weißt.«
Sie biss sich auf die Lippe. »Ach, Mutter …«
»Guillemette«, korrigierte ich sie.
»Guillemette.« Sie versuchte zu lächeln, aber es wurde nur eine halbherzige Geste. »Es gibt Zeiten, da kann ich offenbar nicht aufhören, darüber zu sprechen, aber im Augenblick ist es so, als hättest du mir befohlen, in vierzehn Tagen ins Heilige Land und wieder zurück zu pilgern.«
Ich sagte nichts, sondern berührte zur Ermutigung nur sanft ihre Hand. Sie schniefte noch einmal und begann dann mit ihrer sorgenschweren Erzählung. »Mein Dienstherr – der Schneider Jean Peletier, ein sehr angesehener Mann – kleidet noch immer gelegentlich Madame Catherine ein, obwohl mir diese Frau beinahe vorkommt wie ein Geist, sehen wir doch kaum etwas von ihr. Manchmal, wenn sich die Gelegenheit ergibt, stattet er auch Milord persönlich aus, allerdings viel seltener, seit Milord so oft auf Reisen ist.«
Geschichten über seine Entourage waren Legende, ein mächtiger Tross, Unmengen von Gefolgsmännern und Bediensteten, alle in eindrucksvollen Gewändern. »Er scheint nie sehr lange in seinen eigenen Schlössern zu verweilen«, sagte ich. »Man wundert sich über seine nomadischen Neigungen. Als Kind zeigte er die nicht.«
»Ja, aber er hat sie gesehen – in seinem Vater. Wir statteten Milord Guy immer für die eine oder die andere Reise aus. Wie seine Reisebekleidung sich so schnell abnutzen konnte, werde ich nie verstehen. Aber jetzt bleibt Milord Gilles immer für längere Zeit in Champtocé; das sagt zumindest Monsieur Peletier, und er weiß es von einem Schneider, den er dort kennt. Wir dienen ihm nur, wenn er in Machecoul ist.« Zögernd fügte sie hinzu: »Und es ist schwierig, das einzutreiben, was er uns schuldet, deshalb sind wir nicht unbedingt erpicht auf seine Aufträge.«
Gott sei Dank hatte es nicht in meiner Verantwortung gelegen, dem kleinen Gilles den Umgang mit Geld beizubringen – ich will mir gar nicht vorstellen, welche Kämpfe wir ausgefochten hätten. Diese schauerliche Pflicht oblag Jean de Craon, der seinen Enkel in allen Dingen mit ausgesuchter Grausamkeit zum Gehorsam zwang, es aber irgendwie nicht schaffte, ihm fiskalischen Verstand einzubläuen. Ich konnte beinahe Jean de Malestroit sagen hören: Gibt man einem Mann einen Fisch, isst er ihn und wird dann wieder hungrig, bringt man ihm aber das Fischen bei, wird er nie darben. Dieser Spruch war nie angebrachter als in Bezug auf Milords Reichtum, der ihm ohne Anleitung übergeben worden war, so dass er, als er seine Volljährigkeit erreichte und niemand ihm mehr Einhalt gebieten konnte, so verschwenderisch wurde, wie ein Mann es nur sein konnte.
»Vielleicht sind seine vielen Reisen nur ein Versuch, seinen Gläubigern zu entfliehen«, entgegnete ich.
»Zweifellos. Dennoch ist Monsieur Peletier weiterhin bereit, hin und wieder für Milord zu arbeiten; er sagt, er möchte seine Waren dem Adel vor Augen führen, um so vielleicht zusätzliche Aufträge von jenen zu erhalten, die tatsächlich bezahlen. Er betrachtet das als vernünftige Investition. Mein Georges ist …«
Sie brach mitten im Satz ab, hielt den Atem an und stieß ihn dann langsam wieder aus, bevor sie fortfuhr, nun mit sorgfältiger gewählten Worten: »Monsieur Peletier nahm meinen Georges zum Lehrling, bevor …«
Wieder suchte sie stammelnd nach den richtigen Worten. »Auf jeden Fall ging der Junge regelmäßig mit ihm ins Schloss hier in Machecoul. Was er mir berichtete, war beunruhigend – fantastische Geschichten darüber, wie er dort behandelt wurde, manchmal von dem Pagen namens Poitou, gelegentlich aber auch von Milord Gilles selbst. Der Mann zahlt seine Schulden nicht, aber er lebt verschwenderisch und behandelt seine Gäste, auch wenn es Leute aus dem Volk sind, wie Könige. Und warum ein solches Interesse für einen bloßen Lehrling …«
Sie erinnerte sich nicht an den Tag vor so vielen Jahren, als Milord ihr den kleinen Georges aus den Händen nahm.
Na, mein kleiner Engel, wovor fürchtest du dich?
Ich behielt die Erinnerung für mich und sagte: »Es ist unschicklich, dem stimme ich zu.«
»Georges fing an, lüstern von all dem Luxus zu sprechen, den er sah. Mir missfiel das, und ich sagte ihm, er solle sich freudig mit seiner eigenen glücklichen Stellung bescheiden. Natürlich missachtete er meinen Rat, aber was konnte ich schon tun? Er war ein Lehrling, andererseits fast schon ein Mann. Ich hatte keine Macht mehr über ihn.«
»Wenn man Handwerker ist, dann ist es schwer, sich nicht nach einem Leben zu sehnen, wie Milord es führt.«
»Ich selbst habe das auch alles gesehen, dennoch wusste ich, was meinem Stande ziemt. Aber die heutige Jugend, sie scheint ganz vergessen zu haben, dass Wohlstand von harter Arbeit und Fleiß kommt.« Sie zuckte resigniert die Schultern. »Was kennt man in diesem Alter denn schon außer den eigenen Gelüsten? Er war wie ein Strohhalm im Wind. Auf jeden Fall wurde er beeinflusst von diesem Poitou – ein Kerl, wie ich ihn nicht beschreiben kann, außer dass ich mich in seiner Gegenwart unwohl fühlte, so als würden tausend Spinnen über meine Haut krabbeln. Georges kam nach Hause und erzählte mir von den Versprechungen, die der Page ihm in Milords Namen gemacht hatte, der Vergütung von Schneiderarbeiten, obwohl mein Sohn noch gar nicht ausgelernt hat. Materialien und Waren, Nadeln, teure Scheren wurden ihm versprochen – für mich war das alles zu weit hergeholt, um glaubwürdig zu sein. Das letzte Versprechen, von dem er mir berichtete, war, dass er ein Pferd erhalten sollte.«
»Ein Pferd?« Das war in der Tat weit hergeholt. »Ein wirklich außergewöhnliches Geschenk.«
»Oui, Mère, das ist es. Zu außergewöhnlich. Natürlich war er begeistert.«
»Wie es jeder junge Mann wäre.«
»Ich sagte ihm, er solle misstrauisch sein gegenüber solch unverdienter Großzügigkeit. Aber am festgesetzten Tag ging er dennoch und gegen meinen Willen zum Schloss, um das Tier in Empfang zu nehmen. Vor vierzehn Tagen. Bevor er aufbrach, gab ich ihm eine Kniehose mit, die er unterwegs abliefern sollte, und bat ihn, das Geld dafür in Empfang zu nehmen. Er lachte und sagte, er würde die Lieferung auf seinem Pferd machen, und dass solche Aufgaben von nun an ein Vergnügen für ihn seien und er sie sehr gerne für mich übernehmen werde.« Sie senkte den Kopf, und eine Träne tropfte ihr von der Wange. »Er ist ein guter Junge. Und mir ein guter Sohn.«
Ich wollte die wenigen guten Erinnerungen nicht stören, die ihr nach seinem Verschwinden geblieben waren, deshalb schwieg ich. Nach einer angemessenen Frist fragte ich: »Und seitdem gibt es keine Spur mehr von ihm?«
»Keine einzige.«
»Hast du im Schloss nachgefragt?«
»Mein Gatte gestattete es mir nicht. Er sagte, als Vater des Jungen sei das seine Aufgabe. Er machte sich auf nach Machecoul, kam aber lediglich mit der Nachricht zurück, dass Georges nie eingetroffen sei, um das Pferd abzuholen, und dass das Tier einem anderen gegeben worden sei.«
»Hast du ihn gefragt, wer ihm das sagte?«
»Wieder war es dieser Poitou, Milords Page.«
»Und dein Mann fragte ihn nicht weiter?«
»Mein Gatte erachtet Misstrauen gegen irgendjemanden außer seinem eigenen Sohn für unnötig.«
Ihr Groll war offensichtlich. Sie hatte nicht nur ihren Sohn verloren, sondern auch das Vertrauen in ihren Mann – eine trostlose Lage.
»Hast du nachgefragt, ob sonst jemand ihn an diesem Tag gesehen hat?«
»Mais oui, Mutter. Selbstverständlich.«
Nun nicht mehr Guillemette, sondern Mutter. Unsere junge Vertrautheit litt schon jetzt unter meinen eindringlichen Fragen. Was für eine Närrin war ich auch, dass ich diese Frage überhaupt gestellt hatte – hatte ich selbst doch jeden in der Umgebung von Champtocé mit meinen Fragen gequält, bis alle mich fürchteten wie die Pest.
»André Barbé sagte mir, er habe Georges an diesem Nachmittag Äpfel pflücken sehen. Er sah ihn hinter dem Haus, in dem la famille Rondeau wohnt, die dort einen Obstgarten hat. Er ist aber kein sonderlicher Freund von Äpfeln. Als ich das hörte, dachte ich, er hat es wohl für das Pferd getan.«
»Und sonst hat ihn niemand gesehen?«
»Kein Mensch.«
Wie viele Male hatte ich anhand dessen, was andere mir sagten, Michels letzte Stunden zurückverfolgt? Zu viele, um sie zu zählen.
»Dieser Mann Barbé, hat er dir sonst noch etwas über Georges berichtet?«
»Das war alles, was er sah. Er sah nicht, wie Georges den Obstgarten verließ. Das sah übrigens auch sonst niemand, und ich habe viele gefragt. Aber Barbé hatte mir noch etwas anderes zu berichten.« Sie atmete tief durch. »Er sagte mir, er habe auf der Straße zwischen Machecoul und Nantes einen Mann getroffen, einen Fremden. Als Barbé ihm sagte, dass er aus Machecoul stamme, wurde der Fremde sehr aufgeregt und sagte ihm, er solle auf seine Kinder aufpassen, denn sie liefen Gefahr, verschleppt zu werden. Er sang dieses kleine chanson, das er gehört hatte; es ging etwa so: ›Sur ce, l’on lui avait dit, en se merveillant, qu’on y mangeout les petits enfants.‹«
Ich war verblüfft. Es war genau der Satz, den Jean mir geschrieben hatte, die erinnerten Worte, die mein Interesse an ihrer Notlage überhaupt erst geweckt hatten, ebenjene, die ich auch von dem beunruhigten Fremden zu vernehmen meinte, der mir den Weg hierher beschrieben hatte. Aber Georges war sechzehn Jahre alt, er war kein kleines Kind, auf jeden Fall nicht klein genug, um gegessen zu werden. Aber nicht alle Sechzehnjährigen waren schon so groß wie ein Mann. »Agathe«, fragte ich leise, »war Georges von zierlichem Wuchs?«
»Er hatte seine volle Größe noch nicht erreicht.«
»Hat dieser Barbé dir gesagt, woher dieser Fremde kam?«
»Saint-Jean-d’Angély.«
Eine ziemlich große Entfernung. Doch schlechte Nachrichten verbreiten sich schnell, vor allem auf dunklen Wegen.
Auf ihr Beharren hin blieb ich noch eine Stunde bei Agathe le Barbier, obwohl in der Angelegenheit, die mich zu ihr geführt hatte, kaum mehr etwas zu sagen war. Sie tischte mir auf, und ich nahm das Angebot an, es wäre eine Beleidigung gewesen, es nicht zu tun. In der Zeit meiner tiefsten Trauer um Michel war es mir fast unvorstellbar gewesen, auch nur zehn Schritte zu gehen, außer jemand zwang mich dazu. Madame le Barbier war von ihrem Dorf durch den Wald bis zur Klosterkirche gegangen und in ihrer Ärmlichkeit vor den Bischof und mich getreten, um eine Geschichte zu erzählen, die kaum Gehör fand. Dann hatte sie sich in der abscheulichen Dunkelheit auf den Heimweg gemacht. Heute hatte sie dem Stachel meiner Fragen standgehalten. Sie war eine Frau von bewundernswerter Stärke, die meine ganze Achtung verdiente.
Jetzt war es an mir, eine solche Stärke zu beweisen. Als ich auf dem Rückweg ins Kloster durch den dunkler werdenden Wald, durch Schatten und Fallgruben und schnappende Äste eilte, hielt ich meine Angst mit einer ganz andersartigen Ablenkung in Schach: Welch unerfreuliche Form würde Jean de Malestroits prächtige Augenbraue annehmen, wenn ich später mit ihm sprach?
»›… hatte ihm jemand verwundert berichtet, dass sie dort kleine Kinder essen.‹«
»Das habt Ihr gehört?«
»Ja, in einem Liedchen, Euer Eminenz, von einem Mann, der mir den Weg beschrieb. Und es wurde mir erzählt von jemandem, der es von einem anderen gehört hatte, dem es wiederum erzählt worden war …«
Ich erwähnte Madame le Barbiers Rolle in dieser Nachrichtenkette ebenso wenig wie die von Jean; beides erschien mir überflüssig und würde ihn nur vom Kern der Sache ablenken. »Aber das war genau das, was der Mann zu ihm gesagt hatte, Wort für Wort dasselbe, was er mir sagte, das schwört der Zeuge zumindest …«
»Guillemette, ich habe Euch doch schon so oft gesagt, dass Klatsch nicht hinnehmbar ist.«
»Das war kein Klatsch«, sagte ich mit fester Stimme, obwohl meine Knie beinahe zitterten. »Ich erfuhr es im Verlauf meiner Nachforschungen.« Schließlich zog ich Jeans Brief aus dem Ärmel und faltete ihn ungehaltener auf, als ich es hätte tun sollen. »Und schaut, hier ist es, bis aus Avignon, geschrieben von meinem geliebten Sohn. All das hat unmittelbar mit dem Grund meiner Reise nach Machecoul zu tun.«
Mir stockte der Atem. Ich hatte mich verraten! Ein beinahe niederträchtiges Lächeln kroch über das Gesicht des Bischofs. »Dann muss ich Euch falsch verstanden haben«, sagte er. »Ich glaube, Ihr sagtet, Ihr müsset nach Machecoul wegen Garnen und Nadeln.«
Bei einer Unwahrheit ertappt, suchte ich verzweifelt nach einer Erklärung. »In der Tat, Eminenz. Das war meine ursprüngliche Absicht.«
»Guillemette, Ihr braucht mich nicht anzulügen. Ich bin doch kein so schwieriger Mann, bei dem eine Frau die Wahrheit verbiegen muss.«
Bei allen Heiligen, dieser Mann lud mit seiner Strenge doch geradezu zum Lügen ein. Aber nun war nicht die Zeit, um darüber zu sprechen, dies konnte man nur in einem entspannten und ruhigen Augenblick tun, wenn er hilfreicher Kritik vielleicht zugänglicher war. Unterwürfig senkte ich den Kopf und hoffte, es würde wirken.
»Bitte gestattet mir, mich zu entschuldigen, Eminenz, wegen meines mangelnden Vertrauens in Eure Anständigkeit. Ich gestehe, dass ich unbedingt noch einmal mit Madame le Barbier sprechen wollte, und ich hätte es Euch sagen sollen.«
Seine Miene wurde milder. »Ja, das hättet Ihr.«
»Aber ich benötigte diese Dinge tatsächlich. Und da ich sowieso nach Machecoul gehen wollte, dachte ich mir, es wäre hilfreich, in dieser anderen Sache Nachforschungen anzustellen.«
Er betrachtete meine leeren Hände. »Dann habt Ihr Eure Einkäufe also weggeräumt, bevor Ihr zu mir kamt.«
Heilige Jungfrau, rette mich! »Nein …«
»Nun, wo sind sie dann?«
»Es gibt keine!«, rief ich ungeduldig. »Es gab nichts nach meinem Geschmack. Der Markt schien aus irgendeinem Grund ziemlich leer.«
Die Augenbraue senkte sich wieder auf einer Seite. »Gar nichts?«
»Nein«, erwiderte ich schüchtern.
»Hmmm. Vielleicht waren ja alle Händler heute hier in Nantes; wie schade. Oft kommt Ihr von Euren Ausflügen mit mehr Einkäufen zurück als ursprünglich beabsichtigt. Und nach Eurer Rückkehr bringt Ihr Stunden damit zu, die Vorzüge Eurer Einkäufe zu preisen, in dem Bemühen, wie ich erkannt habe, Eure Ausgaben aus der Schatztruhe des Klosters zu rechtfertigen, doch ich muss auch gestehen, dass ich dieses Euer Bemühen immer mit großer Vorfreude erwarte, denn Ihr glüht förmlich, und es ist ein Vergnügen zu sehen, mit welchem Einfallsreichtum Ihr Verwendungen für die Dinge erfindet, die Ihr gekauft habt. Heute seid Ihr zurückgekommen mit leeren Händen und ohne Geschichten bis auf diese wilden Märchen von gefressenen Kindern.«
»Wenigstens waren sie nicht mit Kosten verbunden …«
»… was ihrem vermutlichen Wert entsprechen dürfte.«
Einen verblüfften Augenblick lang fragte ich mich, ob Etienne mich so gut gekannt hatte, wie dieser Mann es offensichtlich tat.
»Ich gestehe, ich war ein bisschen abgelenkt von der Sache mit dem verschwundenen Kind. Aber wenigstens habe ich kein Geld vergeudet.«
»Nein, nur Zeit. Und ein bisschen scheint mir ein milder Ausdruck für den Grad Eures heutigen Abgelenktseins.«
»Eminenz, meine Pflichten wurden versehen, bevor ich von hier aufbrach. Ich gebe zu, dass eine meiner Absichten im Lauf des Tages die Oberhand gewann. Aber Ihr müsst auch einsehen, dass diese Geschichte einer Nachforschung wert ist – Kinder sind verschwunden, und zwar auf völlig unerklärliche Weise. Kinder. Soweit man weiß, keine Kinder von Stand, aber …«
»Sicher wissen wir es nur von einem Kind.«
»Es gibt hartnäckige Gerüchte über andere.« Meine Stimme war ziemlich schrill geworden, so dass sie sogar in meinen Ohren unangenehm klang. »Ihr wisst doch über alles Bescheid, was in diesem Reich vor sich geht. Eure Ratgeber haben sicherlich von dieser Sache gesprochen.«
»Ihr übertreibt. Es gibt viele Dinge, die ich nicht weiß. Und meine ›Ratgeber‹, wie Ihr sie so höflich nennt, haben mir nichts gesagt.«
Ein Mann mit so viel Macht wie er, der so vieles für sich und andere zu schützen hatte, musste doch ohne jeglichen Zweifel viele Zuträger haben, die ihm wichtige Neuigkeiten lieferten. Er konnte sicherlich ohne große Schwierigkeiten in Erfahrung bringen, was er wissen musste und wollte. »Es entspricht nicht der natürlichen Ordnung der Dinge, dass Kinder verschwinden«, sagte ich. »Ihr könnt doch bestimmt herausfinden, was mit ihnen geschieht.«
»Schwester, wollt Ihr damit andeuten, dass etwas Unnatürliches mit ihnen geschieht, falls tatsächlich eine böse Absicht vorliegt? Es wäre doch viel näher liegend, dass diese Kinder einfach davongelaufen oder aufgrund eines unglücklichen Zufalls verschwunden sind und ihre Überreste noch nicht gefunden wurden. Und wir reden hier von einigen wenigen Kindern, nicht von Dutzenden. Wären es Dutzende, wäre das eine ganz andere Lage.«
»Vielleicht sind es ja Dutzende. Es wäre vernünftig, das herauszufinden, bevor wir diese Verschwindensfälle als nichts Ungewöhnliches abtun.«
»Ach, ach!«, sagte er. »Reine Zeitverschwendung.«
Ich ließ einen Augenblick kalten Schweigens verstreichen, bevor ich sagte: »Ihr würdet nicht so denken, wäre es Euer Kind.« Ich warf einen Blick auf die Utensilien des Gottesdienstes, die auf dem Tablett bereitlagen. »Eure Vorbereitungen sind abgeschlossen. Mit Eurer Erlaubnis, Eminenz, werde ich mich jetzt in meine Kammer zurückziehen. Zu persönlichen Gebeten. Ich glaube, die Reise hat mich doch sehr mitgenommen.«
Ohne auf seine Antwort zu warten, senkte ich den Kopf und ging zur Tür. Plötzlich spürte ich seine Hand auf meiner Schulter. Ich drehte mich um und starrte ihn wütend an.
»Es tut mir Leid, Guillemette.« Er war völlig zerknirscht, zumindest für den Augenblick. »Ihr habt ja Recht«, sagte er. »Mir fehlen die Voraussetzungen, um Eure Gefühle in dieser Sache zu verstehen.«
Ein Lächeln der Dankbarkeit drängte auf meine Lippen, doch ich bezwang es und nutzte den Vorteil des Augenblicks, den er mir so günstig eröffnet hatte – nicht einmal die Jungfrau von Orléans hatte mir in dieser Hinsicht viel voraus. »Eminenz, lasst mich herausfinden, ob es noch mehr Fälle gibt, und falls es sie gibt, erbitte ich Euren Segen, meine Ermittlung noch weiter fortführen zu dürfen.«
Seine Zerknirschung, so schien es, reichte nicht so weit, dass er mir eine solch verwegene Bitte gewährte. »Ihr habt Pflichten hier, muss ich Euch daran erinnern?«
»Das braucht Ihr nicht.«
»Es würde erfordern, dass Ihr über Land reist – was sehr gefährlich ist.«
»Ich bin Äbtissin. Niemand wird mir etwas tun.«
»Auch eine Äbtissin ist eine Frau. Es gibt Männer da draußen, die sogar der Heiligen Jungfrau Gewalt antun würden, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten.«
Ich schluckte schwer und sagte: »Dennoch werde ich gehen. Und wenn Ihr es mir verbietet, werde ich diesen Schleier ablegen, und dann könnt Ihr mir gar nichts mehr verweigern außer den Sakramenten.«
Hrrmp. »Gott möge Euch für Eure Halsstarrigkeit bestrafen.«
»Au contraire, Bruder, Gott wird mich für meine Tapferkeit belohnen. Ihr werdet sehen.«
»Nur Er weiß, wie Er diese beiden Wesenszüge zu betrachten hat. Tut, was Ihr wollt, Guillemette, Ihr werdet es sowieso tun.«
Dann fügte er mit gewissem Widerwillen hinzu: »Wenn Ihr dies Eurer Zeit für würdig erachtet, dann muss ich mich wohl auf Euer Urteil verlassen. Aber bitte seid diskret. Wir wollen keine unnötige Aufregung unter den Leuten verursachen.«
Es war eine Gabe, aber keine ohne Gegenleistung, denn nachdem er mir seinen Segen erteilt hatte, musste er noch eine strenge Ermahnung anfügen: »Nur lasst Euch von dieser Sache nicht verzehren.«
»Ich werde mir Mühe geben.« Ich verbeugte mich leicht und wandte mich zum Gehen, doch Jean de Malestroit fasste mich sanft am Arm und hielt mich zurück.
»Gott würde es sehr freuen, wenn Ihr hier betet anstatt in Eurer Kammer.«
Gott, also wirklich. Sein Bischof war es, der mich hier haben wollte. Ich nickte zum Zeichen meines Einverständnisses, doch so würdevoll, wie ich nur konnte.
»Gut«, sagte Jean de Malestroit. Er nahm das Tablett zur Hand und wandte sich zur Tür, stellte es aber dann wieder ab und sagte mit einem Seufzen: »Eines Tages wird Gott mich für die Unzulänglichkeiten meines Gedächtnisses zur Rechenschaft ziehen. Hier ist ein Brief für Euch. Aus Avignon.« Er zog eine Schriftrolle hervor.
Jean. Mein Herz machte einen Satz, während ich gierig die Hand nach dem Pergament ausstreckte. Seine Eminenz hatte Recht. Er würde meine Leidenschaft nie verstehen.